Mut statt Angst

In unsicheren Zeiten suchen viele Halt in alten Gewissheiten, doch echte Zukunftsgestaltung erfordert Mut und Kreativität. Mit Future Literacy und der Offenheit für Wandel können wir Ängste überwinden und neue Perspektiven für eine selbstbestimmte, gestaltbare Zukunft entwickeln

Hallo aus Hamburg,

Es ist menschlich, dass die Rückkehr zu alten Gewissheiten in Zeiten großer Unsicherheit Hochkonjunktur hat. Die derzeitigen Ängste vor Inflation, Atomkrieg, Nuklear- und Klimakatastrophe treiben Menschen in die Arme von Apologeten der schönen alten Welt und von Verführern: Putin, der seinem alten Weltreich nachtrauert und für diesen Traum sein Land und die halbe Welt in Geiselhaft nimmt – sofern er nicht nur ein Mafiaboss im Kleid eines Politikers ist. Die AfD, die den Ängsten mit der Botschaft der Abschottung der Deutschen vor dem Fremden begegnet und sich damit stabil in der Wählergunst hält. DDR-Nostalgiker, die vorgaukeln, dass das alte Leben im Osten Deutschland zwar enger, aber schöner war. Politiker und Medien, die Volksaufstände wegen hoher Energiepreise an die Wand malen, schüren Angst und Rückwärtsgewandtheit zusätzlich und erweisen dem Wunsch der Bevölkerung nach Orientierung einen Bärendienst. „Menschen, die Angst haben, zahlen einen Preis, die Aufgabe ihrer Selbstbestimmung“ schrieb neulich Rainer Hank in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Vor einigen Wochen hielt ich einen Vortrag über die Frage, wie Unternehmen planen können, wenn alles unplanbar erscheint. Mit auf dem Panel saß ein Soziologe, der über die Gefahr der Defuturisierung sprach. Damit beschrieb er den Versuch von Unternehmen, die Zukunft in ein strategisches Zielbild zu packen und damit Orientierung zu geben. Andererseits zwingt uns ein zu detailliertes Zielbild zu Festlegungen und beraubt uns Handlungsmöglichkeiten, die wir jetzt noch nicht erahnen können. Das von Strategieberatungen viel beschworene Denken in Szenarien versucht ebenfalls, das morgen mit den Ideen von heute zu kolonisieren. Weil es nur von heute Denkbarem bei der Entwicklung von Zukunftsszenarien ausgehen kann. Auf diese Weise entsteht ein „Gegenwarts-Bias“. Der Referent auf dem Podium brach eine Lanze für die Futurisierung, die Unsicherheit als Ressource statt als Feind von Planung sieht. Indem wir uns undenkbare Zukünfte vorstellen werden wir uns erst bewusst, dass und wie wir Zukunft gestalten können. Anhänger der Future Literacy, einer Herangehensweise zur Entwicklung von Zukunftsentwürfen, nutzen kreative und spielerische Methoden, um unbekannte Optionen der Zukunft zu entwerfen. Psychologische Langzeitstudien haben gezeigt, dass Menschen, die gelernt haben, Zukunft zu imaginieren, weniger Angst vor der Zukunft haben und ermutigt sind, diese zu gestalten; jede Neugründung eines Unternehmens zeugt von dieser auf die Zukunft ausgelegte Tatkraft.

Kein Zweifel: Am Verhältnis zu Zukunft und Unsicherheit scheiden sich die Geister und spalten sich Gesellschaften bis zur Gefahr der Selbstzerstörung. In seiner gerade erschienenen lesenswerten Geschichte des reaktionären Denkens beschreibt Karl-Heinz Ott, dass sich dieser Antagonismus als ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit zieht. Er geht auf die Debatte der beiden vor den Nationalsozialisten in die USA geflohenen Philosophen Leo Strauss und Karl Löwith ein, die die Katastrophen zweier Weltkriegen und einer Diktatur an eigenem Leibe erfuhren. Strauss proklamierte, dass nur geschlossene Gesellschaften funktionieren könnten; solche, die von größtmöglicher Homogenität, Überschaubarkeit und Einheitsweltbild getragen seien. Alles Kosmopolitische, Universale und Globale widerspräche den Gesetzen der Natur, schürt – so ergänze ich – Unsicherheit und verhindert die Einhegung der Zukunft. Dagegen setzte Löwith, dass gerade die Wandelbarkeit des Menschen und der Gesellschaft das einzig Zukunftsvolle sei. Ott zitiert Löwith: „Die restaurativen Menschen von heute wollen immer noch ‚Verlorenes‘ wieder-holen und rehabilitieren… Sie (Strauss) fragen: was ist der Mensch und was ist aus ihm geworden… Ich sage: ‚so sind wir jetzt und was kann noch alles aus dem Menschen werden!‘“

Nehmen wir uns nicht die Freiheit, Zukunft zu denken und zu gestalten. Lassen wir uns nicht den Mut nehmen, selbstbestimmt zu sein. Die vielen Beispiele von gelungenen Aufbrüchen, die mich nach dem letzten Newsletter erreicht haben, zeugen davon, was wir Menschen in Umbruchszeiten bewegen können.

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