Was gegen Unsicherheit hilft

Lernen, inspirieren und gestalten: Von globalen Krisen bis zu disruptiven Innovationen zeigen Beispiele aus Harvard und der Wirtschaft, wie Mut und Wissen den Weg in eine unsichere, aber vielversprechende Zukunft ebnen können. Entdecken Sie Erfolgsgeschichten und neue Perspektiven für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt.

Hallo aus Hamburg,

Manchmal schieße ich über das Ziel hinaus. So geschehen im letzten Newsletter, in der ich über derzeitige Probleme und gute Erfahrungen im gegenseitigen Lernen von Alt und Jung berichtet habe („Täter oder Opfer“). Sollte ich in den Fallbeispielen jemandem zu nahe getreten sein – das war nicht meine Absicht und das täte mir leid.

Dass das Thema nicht kalt lässt, habe ich an der Anzahl interessanter Zuschriften erleben können. So zum Beispiel von einem Ingenieur, der ein langes Berufsleben in einem Unternehmen in der Fertigungstechnik verbracht hat, schließlich im chinesischen Werk. Für die letzten fünf Jahre seines Berufslebens hat er sich entschlossen, in China zu bleiben und sich als Teil eines aus jungen Chinesen und Deutschen bestehenden Teams um die Einführung von schlanken Geschäftsprozessen und agilen Arbeitsformen zu kümmern. Jung und Alt haben zuweilen hart miteinander gerungen, aber am Ende stand ein gemeinsamer Erfolg, der durch seine Ernennung zum „Father of LEAN“ durch das Team gekrönt wurde. Sein Tipp: Nicht zu lange auf derselben Stelle verharren, sondern Aufgaben komplett wechseln. Ungefähr so, wie der amerikanische ehemalige Chefkoch aus Großbritannien, der heute in einem Tech Unternehmen als Manager arbeitet. Eine Leserin hat erlebt, dass Führung durch Kontrolle nicht nur in einer älteren Generation, sondern auch bei heute 40jährigen anzutreffen ist. Eine andere, dass Lernen am besten in der dauernden Reflektion der Arbeit Wirkung zeigt. Danke für Ihr Interesse und den Austausch.

Apropos lernen: Wie jedes Jahr so habe ich auch dieses Jahr wieder eine Lernwoche an der Harvard Business School (HBS) mit 15 Professoren und 180 Unternehmern, Eigentümern und Managern aus aller Welt erlebt. Wie an der HBS üblich, lernen wir über Fälle, reale Unternehmensbeispiele, die wir zur Vorbereitung gründlich studieren und die wir im Klassenraum diskutieren, oft unter Beteiligung der Hauptpersonen, CEO oder Gesellschafter. Diese intensive Woche ist immer auch ein Barometer für das, was sich weltweit in der Wirtschaftswelt hinter den Kulissen tut. Zurzeit dreht sich alles um die aktuellen Krisen, alternative Energien, Künstliche Intelligenz und wie sich Profitabilität einer Unternehmens mit einem gesellschaftlichen Beitrag verbinden lässt. Dazu das Beispiel einer Bank in Kenia, die ihr Geschäftsmodell unter anderem auf den ärmsten Teil der Bevölkerung aufbaut, der keinen Zugang zu einem Konto und damit gesellschaftliche Teilhabe erhält; das waren in Kenia in den 90er Jahren 96 %,  Die Bank gewährte Mikrokredite und führte die Kunden zum Sparen, um Substanz aufzubauen. Heute ist die Bank nicht nur auf 16 Millionen „Mitglieder“ (so heißen die Kunden bezeichnenderweise) und 9 Milliarden US Dollar Umsatz gewachsen, sondern Initiator eines neuen „Marshall Plans für ostafrikanische Staaten“. James Mwangi, langjähriger CEO und inspirierender Vater des Erfolgsgeschichte der Bank, durfte als Kind trotz exzellenter Vornoten zunächst nicht in eine weiterführende Schule gehen, weil sich seine alleinerziehende Mutter nicht Schuhe leisten konnte, die zum Betreten der Schule verpflichtend waren.

Thema war eine ecommerce Plattform, die sich auf Verkauf und Zulieferung preisgünstiger Drogerieartikel an den überwältigend hohen Anteil der geringverdienenden Bevölkerung Indiens konzentriert, die in besonders dicht besiedelten Städten oder auf dem Land leben. In einem klugen Netzwerk aus lokalen Strukturen, Zulieferern, bestehenden Kiosken und Verkäufern, lässt die Plattform in diesem Geschäft mit mehreren hundert Millionen potentiellen Kunden Amazon alt aussehen. Disruption erlebt auch Google, deren größtes Geschäft immer noch die Suchmaschine ist. In Anspielung auf das alte Fotounternehmen, das den Markteintritt in die Digitalkameras verpasste, prophezeite ein Professor Google einen „Kodak Moment“, weil ChatGPT die Logik von Suchmaschinen in eine neue Dimension katapultiert und Google abzuhängen droht. Das Biotechunternehmen Moderna, bei dem die Pandemie 2020 dank durchdigitalisierter Prozesse auf ein gut auf Massenproduktion im mRNA Bereich in kürzester Zeit vorbereitetes Unternehmen traf. Jetzt schickt Moderna sich an, seine Produktionsplattform anderen Biotechunternehmen zur Verfügung zu stellen und damit zu einem apple der Biotechbranche zu werden.

Die Aussichten, die der frühere Finanzminister Larry Summers auf die geopolitische Lage und die Weltkonjunktur gab, waren trübe. Viele Unsicherheiten, Klima, Taiwan, der Fortgang des Krieges in Russland, Inflations- und Lieferkettensorgen.  Die Zeichen stehen auf einen großen, strukturellen Umbruch dessen, was wir in den USA und Europa in den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Darin mischt sich die Erkenntnis, dass jeder einzelne der anwesenden Lernenden in seinem Bereich viel bewirken kann. Das beweist mein Studienkollege Husodo, der in Indonesien die größte Ananasplantage betreibt. Sein Vater kam ohne irgendetwas als 16jähriger Flüchtling aus China. Oder der Libanese Anthony, der nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 nach Zypern geflohen ist und das Unternehmen bboxx aufgebaut hat, das Menschen in vernachlässigten Regionen in elf Länder Afrikas über eine digitale Plattform mit nachhaltiger Energie und Internet versorgt.

So geht allen Unbillen zum Trotz ein Aufbruchssignal von dieser Lernwoche aus. Und das nicht nur wegen Lernfortschritten und inspirierenden Begegnungen, sondern auch wegen der Erkenntnis, die der englische Autor Tom Stoppard in meinem Zitat der Woche auf den Punkt gebracht hat: „The future is disorder. It’s the best possible time to be alive, when almost everything you thought you know is wrong”.

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