Hallo aus Hamburg,
„Unsere Leute müssen unternehmerischer denken!“, „Wir brauchen mehr Unternehmer im Unternehmen!“ Solche Stoßseufzer von Firmeninhabern oder Geschäftsführungen höre ich häufig. Sie sind Ausdruck einer Sehnsucht nach mehr Geschwindigkeit und Flexibilität in der Organisation.
Nun ist das mit den Unternehmern im Unternehmen so eine Sache. Wirkliches Unternehmertum bedeutet, nicht nur mit Erfolgen, sondern auch mit Rückschlägen, Niederlagen und persönlichen wirtschaftlichen Einbußen umzugehen. Das wollen die wenigsten Angestellten. Und diejenigen, die dazu bereit sind, gründen entweder eine eigene Firma. Oder wollen an der, für die sie arbeiten, beteiligt werden. Allerdings ist das für die meisten ehrgeizigen Beschäftigten nicht erschwinglich, weil der Unternehmenswert zu hoch ist. Der Ruf nach Unternehmern im Unternehmen klingt daher wie die Quadratur des Kreises.
Wie Entrepreneurship dennoch funktionieren kann, zeigt der chinesische Haushaltsgerätehersteller Haier mit seinen 80.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seit 20 Jahren. Der Konzern hat sich in rund 4.000 selbständige Mikrounternehmen (ME) mit bis zu 20 Teammitgliedern aufgegliedert. Es gibt produzierende MEs, für Forschung und Entwicklung zuständige, solche mit direktem Kundenkontakt und andere mit unterstützenden Funktionen. Jedes ME hat Etat- und Personalverantwortung, setzt sich seine Ziele und steht im Wettbewerb mit externen Firmen. Jedem ME steht es frei, Dienstleistungen bei Haier oder anderswo einzukaufen. Für größere Aufgaben schließen sich mehrere MEs und externe Unternehmen temporär zu sogenannten Ecosystem Micro Communities (EMCs) zusammen, die sich im Erfolgsfall Erträge nach einem zuvor festgelegten Schlüssel untereinander aufteilen.
Die unternehmerische Freiheit der Beschäftigten zahlt sich aus. Von 2008 bis 2018 verzeichnete Haier jährliche Wachstumsraten von 20 Prozent. Und ist sehr schnell bei der Entwicklung von neuen Produkten. Dazu zählt das ultimative Rezept für eine Pekingente auf der Smart Kitchen App von Haier, über die Kunden alles bestellen können, was es zum Gelingen braucht: von der Ente aus Partnerbetrieben über die Logistik bis zum Ofen von Haier. Oder eine App, über die chinesische Studierende slots in den Waschsalons ihrer Universitäten buchen, und die gegen eine Provision Drittanbietern für deren Produkte offensteht. Erfolgreiche Innovationen werden früh als eigene MEs ausgegründet. An diesen Firmen können sich Teammitglieder beteiligen und so zu Mitunternehmern werden.
Unter dem Motto „Null Distanz zu unseren Kunden“ löste Haier mit einem radikalen Schritt die Hierarchieebene mittleres Management auf. In einer klassischen Organisation ist dessen Aufgabe, Anweisungen, Ziele und Kennzahlen von oben in das Unternehmen „herunter zu kaskadieren“. Die einst etwa 10.000 Mittelmanagerinnen und -manager konnten sich entscheiden, Mitunternehmer zu werden oder Haier zu verlassen.
Nun muss man nicht Haier sein, um Unternehmertum zu ermöglichen. In meinem Unternehmen haben wir erprobte Verfahren zur Organisations- und Führungsentwicklung seit Längerem digitalisiert und automatisiert und damit begonnen, daraus Software-as-a-Service-Produkte zu entwickeln. Kolleginnen und Kollegen, die helfen, solche oder andere neue Geschäfte voranzutreiben, können in Verbindung mit eigenem Investment Mitgesellschafter von Ausgründungen werden.
Vielleicht muss man die eingangs erwähnten Stoßseufzer nicht auf die Goldwaage legen. Ich kenne ausgezeichnete angestellte Manager (und war selbst so einer), die sich ihre Aufgabe so zu eigen machen, als wäre es ihr eigenes Unternehmen. Für Kollegen, die unmittelbar Unternehmer sein wollen, und für ihre Organisationen birgt das Modell Haier eine doppelte Gewinnchance. In unsicherem Terrain kommt es auf Geschwindigkeit, Wendigkeit und Experimentierfreude an. Neue Geschäfte im geschützten Raum als Ausgründung den Herausforderungen des Marktes auszusetzen, erlaubt früh den Test unter realen Bedingungen. Und für unternehmerische Leistungsträger bietet Miteigentümerschaft in einem bestehenden Unternehmen attraktive Perspektiven.