„Never waste a good crisis“

Wie können wir strategische Orientierung geben in einer Zeit, in der die Normalität zur Ausnahme wird? Die Suche nach dem Purpose eines Unternehmens hat Hochkonjunktur, doch das allein reicht nicht.

Hallo aus Hamburg,

über die Resonanz auf meinen ersten Newsletter habe ich mich sehr gefreut. Sie läuft auf eine Frage zu: Welche Relevanz haben Unternehmensstrategien in Zeiten krisenhafter Umbrüche?


Es stellt sich in der Tat die Frage, wie um Himmels willen ein Unternehmen heute ein strategisches Zielbild für das Jahr 2027 oder 2032 entwickeln soll. Niemand weiß, was bis dahin passieren wird. Und wir tun uns jetzt schon schwer mit den vorhersehbaren Risiken, die eingetreten sind: Klimakrise, Russlands Krieg gegen die Ukraine, Migration, Hungersnöte, Energieknappheit, reißende Lieferketten und Inflation – all dies haben Fachleute prophezeit, man hat nur nicht auf sie gehört. Auch die Pandemie ordnet Nassim Nicholas Taleb, Autor des Buchs „Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ als unvermeidliches, aus der Logik der internationalen Verflechtungen herrührendes Phänomen ein. Dennoch sollten wir, so Taleb, nicht dem Irrglauben verfallen, dass wir jemals wieder zu einer Normalität zurückkehren könnten, wie wir sie kannten. Es gehe vielmehr darum, ganz neu zu denken. Wir sollten den Extremfall nicht als Ausnahme missverstehen, sondern als Ausgangspunkt nutzen.

Wie können wir also strategische Orientierung geben in einer Zeit, in der die Normalität zur Ausnahme wird? Vielfach beschworene Szenarienplanungen helfen nicht weiter. Denn sie gehen von bekannten Möglichkeiten und Risiken aus.

Mit der Antwort auf diese Frage assoziiere ich auch eine persönliche Erfahrung. Als Student des anscheinend wenig zukunftsträchtigen Fachs Geschichte bewarb ich mich vergebens bei einem Studienförderwerk. Die Frage, an der ich scheiterte, lautete: „Und wo sehen Sie sich in fünf bis zehn Jahren?“ Ich erzählte mit leuchtenden Augen etwas von brennender Neugier und dem sehnlichen Wunsch, gesellschaftliche Zusammenhänge besser zu verstehen. Das führte zur Bruchlandung im Bewerbungsprozess. Anders als meine Mitbewerberinnen und -bewerber konnte und wollte ich nicht eloquent darlegen, dass ich die akademische Karriere, den Lehrerberuf oder den Staatsdienst anstreben und mindestens Bundeskanzler werden wollte – was bekanntlich mit einer historischen Ausbildung möglich ist. Heute wähle ich selber Stipendiatinnen und Stipendiaten aus – und frage sie: „Was treibt dich?“ und „Was hat dich stolz gemacht?“ Denn ich habe gelernt, dass aus solchen Dialogen ein Bild einer Persönlichkeit entsteht, der man zutrauen kann, Unbekanntes zu meistern, auch wenn nicht klar ist, was der übernächste Schritt ist.

„Was treibt uns?“, „Was macht uns aus?“ Wer in unsicheren Zeiten nach Orientierung sucht, sollte zunächst nach innen schauen. Es geht um die Vergewisserung dessen, was den Kern der Person oder des Geschäfts ausmacht, den es unabhängig von neuen Rahmenbedingungen immer wieder neu zu interpretieren gilt. Es ist kein Zufall, dass die Suche nach dem Purpose, dem Sinn und Zweck eines Unternehmens, Hochkonjunktur hat. Das allein ist aber zu wenig, denn schließlich wollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, wo das Unternehmen hin will. „Vergesst Ziele! Entwickelt ein Winning Narrative, das Emotionen auslöst!“, erklärten mir vor vier Wochen Neurowissenschaftler der Stanford Business School. Eine kurze Geschichte, die in wenigen einprägsamen Worten sagt, was wir erreichen wollen. Das erinnert an Satya Nadella im Jahr 2014. Der damals gerade ernannte CEO von Microsoft rief in wenigen emotionalen Sätzen die stolze Tradition des Unternehmens wach. Und stellte dann sein Programm in vier Worten – „mobile first, cloud first“ – vor, mit dem er das Unternehmen nach einer zehnjährigen Phase der Stagnation wieder nach vorn brachte.

Sich seiner selbst vergewissern und dann den Plan für die Zukunft  in vier verständliche Worte fassen – so kann es gehen. Eine solche Strategie, die im Laufe der Zeit selbstverständlich an neue Marktbedingungen angepasst werden muss, funktioniert wie ein Kompass, der den Weg in die Zukunft weist. Menschen wie Nadella und Taleb ermutigen uns, Krisen dazu zu nutzen, längst überfällige Veränderungen anzugehen und aufgeräumt nach vorne zu irren. Never waste a good crisis!

Herzliche Grüße
Markus Baumanns

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