Keinen Bock auf Führung – die Zwangslage des mittleren Managements

Die Herausforderungen des Home Offices und die aktuelle Krisensituation deckt Führungsdefizite erbarmungslos auf. Viele haben keinen Bock mehr auf Führung. Höchste Zeit sich denen zu widmen, die Führung können und wollen, statt sich an denen abzuarbeiten, die fehl am Platz sind.

Hallo aus Hamburg,

Zwei Auszüge aus einer Umfrage unter Mitarbeitern zur Führungspraxis ihrer individuellen Führungskraft im mittleren Management: „Ich musste verstehen, dass meine Führungskraft nicht in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, da es viel internes Mikromanagement gibt wie z. B. die Entscheidung über das Homeoffice. Die Geschäftsführung ist skeptisch gegenüber Homeoffice, weil sie zweifelt, dass die Leute arbeiten. Sie kritisiert meine Führungskraft, wenn sie Homeoffice zulässt“. „Ich wünsche mir von meiner Führungskraft, dass sie festgelegte interne Termine besser einhält. Ich sehe, dass das schwierig ist, weil dies das Tagesgeschäft nicht zulässt.“

In der Oktoberausgabe von BRAND EINS zitierte Stephan Jansen Studien, denen zufolge in den letzten Jahren erschreckend weniger Mitarbeiter Führungsrollen anstreben. Die Gründe dafür sind vielfältig. Führungskräfte im mittleren Management sind eingezwängt zwischen ungenügender Führungsfähigkeit von deren Vor-Gesetzten (ein eigentümliches Wort!) und den Erwartungen von Teammitgliedern. Diese Zwangslage verschärft sich in der aktuellen Krisensituation. Führungskräfte des mittleren Managements sind für Ergebnisse verantwortlich. Gleichzeitig ist es angesichts bestehender Volatilitäten schwierig, auch nur Jahresziele festzulegen; Folgen von Entscheidungen sind kaum abseh- und steuerbar. Führungskräfte erleben ihren Alltag zudem als einen ständigen Balanceakt zwischen ihrer Führungsarbeit und operativen Aufgaben. Eigentlich sollten Führungskräfte ihrer Ergebnisverantwortung dadurch gerecht werden, dass sie die richtige Kompetenz mit der notwendigen Aufgabe zusammenbringen und sich auf die Führung der Mitarbeiterinnen konzentrieren. Die Realität ist eine andere. Mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft zur Delegation, überraschend auftretende neue operative Themen, knappe Budgets und zu viele Routineprozesse, die immer noch nicht digitalisiert sind, sind Gründe dafür, warum Führungskräfte zu tief im operativen Tagesgeschäft verstrickt sind.

Zusätzlich verändert das Homeoffice als eine der Folgeerscheinungen der Coronazeit unser Verhältnis zur Arbeit nachhaltig. In einer groß angelegten Studie von Microsoft unter 31.000 Führungskräften und Mitarbeitern in 31 Ländern sagen die Hälfte aller Befragten, dass sie nun stärker ihr Augenmerk auf ihr persönliches Wohlergehen legen als vor der Pandemie. Mit der Zunahme der Bedeutung der Fragen: „Was will ich mir antun? Was nicht mehr? Lebe ich, um zu arbeiten? Was ist mir wichtiger: Job oder Familie?“ hat die Bereitschaft zum Wechsel des Jobs oder in die Selbständigkeit signifikant zugenommen. Mit diesen und anderen Herausforderungen rund um das Home Office werden Führungskräfte täglich auch in ihren Teams konfrontiert: hohe Fluktuation, Verlust von Bindung im Team, Unzufriedenheit mit der Arbeitskultur. Laut einer Studie der Helmut Schmidt Universität geht mehr Home Office bei Führungskräften mit einem stärkeren Erleben physischer und psychischer Belastungen und Zunahme von Frustration einher. 74 % der Befragten sagen, dass sie nicht die Möglichkeiten oder Ressourcen haben, notwendige Veränderungen für ihre Mitarbeiter herbeizuführen. Die Verlierer des Homeoffice sind die Führungskräfte im mittleren Management.

Dass ein Exodus unter Führungskräften einsetzt, muss nicht schlecht sein. Führung ist Beziehungsarbeit. Und eine Vielzahl von Führungskräften ist nicht deswegen befördert worden, weil sie es mag, mit den Grautönen in der Zusammenarbeit unter Menschen umzugehen, sondern weil Belohnung für fachliche Leistung oft mit Zunahme an Führungsverantwortung einhergeht. Antworten von Mitarbeitern auf die Frage, was Führungskräfte besser machen können: „So ziemlich alles kann besser gemacht werden. Aber es gibt wohl kaum eine Möglichkeit, wie sich etwas jemals verbessern könnte. Egal wie viele Schulungen wofür auch immer gegeben werden.“, „Für mich stellt sich die Frage, warum sich überhaupt nichts ändert. Warum interessiert sich niemand dafür?“ Viele Führungskräfte sind gestraft mit ihrer Führungsverantwortung – und strafen damit ihre Mitarbeiter. Sie sind fehl an diesem Platz.

Jetzt kommt es darauf an, diejenigen, die Führung wollen und können, zu gewinnen beziehungsweise nicht zu verlieren. Also die volle Aufmerksamkeit auf diese zu lenken, anstatt – wozu wir oft neigen – die meiste Zeit mit den Problemfällen zu verbringen. Sie zu Vollzeitführungskräften zu machen, die keine operative Aufgaben haben. Ihnen ausreichendes Budget für Begegnungen ihrer Teams in zwei- bis dreitägigen offsights an schönen Orten zu geben, wodurch Gemeinschaft entsteht, die Zeiten von Homeoffice überdauern hilft. Kommunikationskanäle im Unternehmen schaffen, die dauerhaften Dialog in den Teams ermöglichen. Fragen: „Was brauchst Du?“ Kontinuierliche Weiterbildung im Umgang mit hybriden Arbeitssituationen anbieten. Entwicklungswege im Unternehmen aufzeigen. Und vor allem: Im ständigen Dialog stehen, Feedback zu Leistung geben und nehmen, Mentor sein.

Jetzt erst recht ist die Zeit der „Emotional Officers“ im mittleren Management. Das Ende des Gelabers über die „soften“ Faktoren ist überfällig. Denn gute Führung ist längst zum härtesten Erfolgsfaktor des Unternehmens geworden. Wer das nicht sieht, erlebt eine Abstimmung mit den Füßen.

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