Wozu brauchen wir Führung in Zeiten von KI?

Hallo aus Hamburg, In einer überspitzten Vision beschreibt der Politikwissenschaftler Moritz Rudolph die Arbeitswelt der Zukunft, in der Maschinen zunehmend die Oberhand über den Menschen übernehmen, so: „(Die) Muskelkraft (der Menschen) ist nicht mehr gefragt. Ihre Verwaltungs- und Organisationskompetenz auch nicht. Selbst als Dienstleister tritt der Mensch zurück ins zweite Glied. Er wird sich auf […]

Hallo aus Hamburg,

In einer überspitzten Vision beschreibt der Politikwissenschaftler Moritz Rudolph die Arbeitswelt der Zukunft, in der Maschinen zunehmend die Oberhand über den Menschen übernehmen, so: „(Die) Muskelkraft (der Menschen) ist nicht mehr gefragt. Ihre Verwaltungs- und Organisationskompetenz auch nicht. Selbst als Dienstleister tritt der Mensch zurück ins zweite Glied. Er wird sich auf drei Bereiche beschränken müssen: Einige wenige Ingenieure sind Edelassistenten der Maschinen. Geschützt werden sie von ein paar Leibwächtern und Ärzten, die den störungsfreien Betrieb organisieren. Und dann gibt es (viele) Menschen, die entweder nichts zu tun haben, oder eine höhere Form des Nichtstuns pflegen, indem sie sich als Atmosphärentechniker betätigen…“. Eine Unternehmensleitung gibt es in dieser neuen Welt nicht mehr. Ein Algorithmus übernimmt strategische und operative Entscheidungen und das, so die kühne These, besser als jeder Mensch das könnte. Wozu brauchen wir dann noch Führung? 

Intelligente Maschinen, digitale Transformation, Neuordnung der Märkte – die Umbrüche, die wir zurzeit erleben, werfen ein neues Licht auf die Anforderungen an diejenigen, die Verantwortung an der Spitze von Unternehmen tragen. John Chambers, langjähriger Chief Executive Officer (CEO) von Cisco, brachte es bereits 2017 auf den Punkt: Wenn ein CEO nicht die tiefgreifenden Marktveränderungen im Detail versteht und sich nicht alle drei bis fünf Jahre neu erfindet, wird er nicht überleben. Folgerichtig verbrachte Chambers viel Zeit mit Start-ups, um neue und kreative Ideen besser zu verstehen. Ist das ein Plädoyer für mehr Innovatoren und Experten an der Spitze von Unternehmen? Und zugleich die Abkehr von der lange gültigen Prämisse, dass Vorstandsvorsitzende und Sprecher von Geschäftsführungen generalistische Strategen sein sollten, deren Hauptaufgabe es ist, die richtigen Leute an der richtigen Stelle einzusetzen und für deren optimale Zusammenarbeit zu sorgen?  

Neueste Forschungen scheinen die Wiedergeburt von Fachleuten und operativen Innovatoren an der Spitze von Unternehmen zu bestätigen. Eine Gruppe von Forschern um den Harvard Professor Boris Groysberg hat dazu zahlreiche Interviews mit CEOs und Aufsichtsratsmitgliedern geführt. Die CEOs waren und sind neben übergeordneten Führungsaufgaben direkt operativ in Innovationsprozessen für neue Produkte und Dienstleistungen involviert. Sie weisen ein tiefes Verständnis von ihren Produkten und Dienstleistungen, deren Innovationspotenzial und deren Märkten auf. Mit ihrer Liebe zum Produktdetail und zum Kundenbedürfnis inspirieren sie ihre Kollegen, mit denen sie im Team zusammenarbeiten. Offenkundig ist das bei Tech Unternehmen, die zurzeit besonderen Innovationssprüngen ausgesetzt sind, wie kürzlich die Aufregung um das chinesische KI-Unternehmen DeepSeek zeigt, das den amerikanischen Platzhirschen der Künstlichen Intelligenz vormacht, wie man große Sprachmodelle wesentlich schneller und günstiger bauen kann. Alle CEOs der Tech Branche haben Fachaufsätze veröffentlicht, Patente entwickelt und damit die technologische Entwicklung ihrer Produkte persönlich vorangetrieben; angeführt von Steve Jobs mit 620 persönlichen oder einem Anteil von 3,2 % aller von Apple entwickelten Patente (bis 2018); dicht gefolgt von Jeff Bezos (Amazon), Bill Gates (Microsoft), Serge Brin, Larry Page (Google) und Elon Musk (Tesla).  

Aber auch jenseits der Tech-Riesen und angetrieben durch die digitale Transformation aller Branchen scheint sich ein Trend hin zu CEO Profilen zu verstärken, die sich durch praktische Neugier für und Detailinteresse am Produkt auszeichnen. Selbst ein Vertrieb ohne eigenes technologisches know-how scheint immer weniger denkbar. Groysberg und seine Kollegen weisen darauf hin, dass die Leidenschaft für das Produkt auch seine Auswirkungen auf Nachfolgeregelungen haben wird. Aufsichtsräte sollten bei Besetzung von Geschäftsführungspositionen verstärkt auf die Leistung des Kandidaten als Experte und in der Produktion achten. Die eingangs geschilderte Vision der neuen Arbeitswelt verstärkt diesen Trend: Wer nicht intelligente Maschinen versteht, wird nicht in der Lage sein, ein Unternehmen zu führen, dessen Zukunft vom vorausschauenden Umgang mit der technologischen Weiterentwicklung abhängt. Bis Führungskräfte durch Maschinen ersetzt werden, gibt es noch allerhand zu tun. 

Beobachtet Ihr in Eurem Umfeld eine ähnliche Verschiebung im Profil von Geschäftsführern von Strategen zu Experten? Und von Vertriebs- zu Produktkompetenz?  

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