Ihr könnt mich alle mal. Zumindest für 20 Minuten.

Die segensreiche Wirkung eines kurzen Mittagsschlafs steht im krassen Gegensatz zu seinem Ansehen.
Titelbild des Blogbeitrages in dem die Kernaussage des Artikels auf einem hellblauen Hintergrund zu lesen ist.

Hallo aus Hamburg,

Achtsamkeitstrainings haben Hochkonjunktur. Im Alltag und nächtens nicht von quälenden Gedanken beherrscht zu werden, ist in der fiebrigen Umbruchszeit, in der wir in den Unternehmen gerade stecken, überlebenswichtig. Gute Entscheidungen treffen wir nicht im Panikmodus, sondern im Zustand innerer Ausgeglichenheit.

Für mich ist die beste alltägliche Achtsamkeitsübung der kurze Mittagsschlaf. Gelernt habe ich ihn während meiner Promotionszeit. Als Teilzeitjob habe ich für den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl die Zeitungen gelesen. Nicht, dass er nicht lesen konnte; er hatte nur nicht die Zeit dazu. Morgens ab fünf Uhr haben wir ihm im Bundespresseamt in Bonn die Kommentierung seiner Politik in der Tagespresse zusammengestellt. Mittags hatte ich Feierabend und fuhr zwanzig Minuten im Intercity von der Bundeshauptstadt zu meinem Wohn- und Studienort Köln. Nach kurzem Eindösen im Sitzen wachte ich geistig und körperlich erfrischt am Kölner Hauptbahnhof auf. Hätte ich verschlafen, hätte ich eine Station weiter in Düsseldorf aussteigen müssen, was für einen kölschen Jung besonders schmerzhaft ist. Seitdem habe ich die Gewohnheit des Power Nappings durch alle Lebens- und Berufsstationen getragen.

Die segensreiche Wirkung des Nickerchens steht im krassen Gegensatz zu seinem Ansehen. Es wird als inakzeptable Störung einer Arbeitskultur verstanden, die seit dem Industriezeitalter durch die lückenlose Aneinanderreihung von Terminen geprägt ist. Gerade in Krisenzeiten, denen man meint, mit pausenloser Aktivität begegnen zu müssen, scheint der Reset-Knopf kontraintuitiv. Deswegen wird die Siesta am Mittag verheimlicht. Dabei ist der hohe Wert dieser bedrohten Lebensart bekannt. Eine Studie der NASA an Militärpiloten und Astronauten fand heraus, dass ein Nickerchen die Produktivität um 34 Prozent und die Wachsamkeit um 100 Prozent verbessert. Kürzere Naps von zehn bis zwanzig Minuten sind ideal, um Trägheit nach dem Aufwachen zu vermeiden und Wachsamkeit schnell zu steigern. Hierbei durchlebt man nur die Einschlafphase, die Schlafexperten N1 nennen und die noch wenig erforscht ist. Experten vom Gehirnforschungsinstitut der Universität Sorbonne stellten jüngst fest, dass gerade im Graubereich zwischen Wachen und Schlafen etliche dynamische Prozesse ablaufen. Die Hirnaktivität nimmt ab, der Herzschlag wird langsamer, das Bewusstsein beginnt zu fluktuieren, und es kommt zu reichhaltigen Sinneserlebnissen. Die Forscher halten es für möglich, dass das Gehirn beim Wegdösen freier assoziieren kann als im Wachzustand und dann Verbindungen zwischen weiter entfernten Hirnarealen herstellt. Das ermögliche die gesteigerte Kreativität nach dem Nap.

So weit, so gut. Aber wie lernt man die kurze Siesta ohne die Zugverbindung zwischen Bonn und Köln? Wie schaltet man die vielen Gedanken, die einem im Kopf im Arbeitsalltag kreisen, auf Knopfdruck aus?

Jeder kennt das Formtief am frühen Nachmittag, das oft durch einen Kantinenbesuch oder durch ein Geschäftsessen am Mittag verstärkt wird. Dieses Tief folgt dem normalen Biorhythmus des Menschen, der eine lange Schlafphase in der Nacht und eine kurze am Nachmittag ebenso vorsieht wie Pausen alle anderthalb Stunden. Nur dann kann sich das produzierte und erlebte Wissen setzen und das Gehirn wieder aufnahme- und produktionsfähig sein. Anstatt gegen das Formtief vergeblich mit Kaffee und Süßkram anzukämpfen, bilde ich, wenn ich in unserem Unternehmen bin, eine Koje aus den beiden Hochlehner-Sofas im Sozialraum neben dem Kicker, mache die Tür zu, sage mir: „Ihr könnt mich alle mal“, lege mich hin, senke die Lider, habe in wenigen Sekunden die Kontrolle über Raum und Zeit verloren und bin im Land des N1. Um zu verhindern, dass aus dem kurzen Nap ein Tiefschlaf wird, nach dem man erschlagener aufwacht als vorher, können wir von den Großen lernen. Vom Erfinder Thomas Edison erzählt man sich, dass er Kugeln in der Hand hielt, der Maler Salvador Dalí einen Löffel. Im Moment des Wegdösens fallen die Gegenstände zu Boden, und der Napper wacht auf.

Allen Anfängern rufe ich Mut und Ausdauer zu: Outet euch als praktizierende Mittagsschläfer. Räumt euch Zeit im Kalender ein. Übt einige Male unterstützt durch autogenes Training oder Entspannungspraktiken, die es zu Hauf im Netz gibt. Werdet damit zum Treiber einer Arbeitskultur, die sich dem Biorhythmus anpasst. Es ist im Interesse des Unternehmens, die Siesta durch Akzeptanz, Weiterbildung und geeignete Rückzugsräumlichkeiten zu fördern. So wie an der Bucerius Law School in Hamburg, wo ich in meiner Zeit als Geschäftsführer einen Napping Room für Studierende einrichten ließ, der rege genutzt wird.

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