Führen in unsicheren Zeiten

Bei großen Umstrukturierungen mit offenem Ausgang finden sich Führungskräfte eingezwängt zwischen unternehmerischen Erfordernissen, verunsicherten Mitarbeitern und eigener Orientierungssuche.
Titelbild des Blogbeitrages "Führen in unsicheren Zeiten". Auf dem Titelbild steht in großen Buchstaben auf grünem Hintergrund: Führungskräfte brauchen jetzt eine positive Haltung zur Unsicherheit.

Hallo aus Hamburg,

Arbeitsplätze gehen branchenweit verloren, ganze Absatzmärkte brechen weg, künstliche Intelligenz stellt Geschäftsmodelle auf den Kopf und verändert Arbeitsabläufe. In vielen Unternehmen finden derzeit große Umstrukturierungen mit offenem Ausgang statt. Täglich finden sich Führungskräfte eingezwängt zwischen unternehmerischen Erfordernissen, verunsicherten Mitarbeitenden und eigener Orientierungssuche. „Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht.“ „Alle sind überlastet.“ „Wie soll ich das bloß meinen Leuten klarmachen?“ „Wie bekomme ich die Mitarbeitenden dazu, dass sie verstehen, dass es so nicht mehr weitergehen kann?“ Keine Schönwetterzeit für Führung.

So weit, so herausfordernd. Aber wie lernen Führungskräfte, ihre großen Aufgaben zu meistern? Seminare vermitteln unverzichtbares Handwerkszeug für das Führen im Alltag: „Wie löse ich Konflikte?“ „Wie führe ich Mitarbeiter- oder Trennungsgespräche?“ „Wie gebe ich gutes Feedback?“ „Was sind Elemente gelingender Kommunikation?“ Ich beobachte, dass es jetzt auf mehr ankommt:

  • Mich selbst und andere zu mehr Klartext ermutigen. Führungskraft zu werden, ist mehr denn je eine Zumutung: Ich mute mir und anderen meine Führung zu. Wenn das gelingen soll, muss ich Frieden mit einigen Wahrheiten schließen: Ich muss auf die Bedürfnisse von Mitarbeitenden eingehen und andererseits Grenzen zeigen, um nicht zur menschlichen Anpassungsruine zu werden, wie es Reinhard Sprenger einmal genannt hat. Wenn ich Probleme löse, verletze ich Interessen. Wenn ich Interessen optimal zu bedienen versuche, erziele ich Kompromisse. Kompromisse sind im unternehmerischen Kontext selten zielführend: „Weil wir Thomas wegen seiner Fachkompetenz und trotz seiner Uneinsichtigkeit nicht verlieren wollen, bauen wir die Organisation um ihn herum.“ Weil ich Mitarbeitenden keine Garantie für ihren Arbeitsplatz geben kann, enttäusche ich zwangsläufig. Mit jeder Entscheidung schränke ich Freiheiten ein, die ich auch durch Überzeugungsarbeit nicht in Wohlfühlen ummünzen kann. Als Führungskraft schaffe ich laufend neue Konflikte. Das ist im Sinne des Ganzen so unvermeidlich, wie es richtig ist, einem Teammitglied zu sagen: „Wenn du dich nicht trennen kannst von deinem klassischen Denken, passen wir nicht mehr zu dir.“
     
  • Raum ermöglichen, aller Versuchung zum Aktionismus zum Trotz. Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt erzählte mir einst, dass er sich zu seiner Amtszeit einmal im Jahr einen Tag lang mit Schriftstellern traf, um mit ihnen zu diskutieren. Der Zufall wollte es, dass dieser Tag im Jahr 1977 mit der Entführung des Verkehrsflugzeuges Landshut durch palästinensische Terroristen zusammenfiel, die so die Freilassung inhaftierter Mitglieder der deutschen Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF) erpressen wollten. Trotz der Grenzsituation, in der er sich befand, und entgegen des Rats seines Stabs sagte Schmidt die Diskussion mit Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Max Frisch und anderen nicht ab. Er bat darum, nur im äußersten Notfall gestört zu werden, um mit Andersdenkenden in Ruhe diskutieren zu können. Ich denke, daraus lässt sich lernen: Die beste Unterstützung, die wir Führungskräften jetzt geben können, ist, ihnen Raum zum Nachdenken mit sich und anderen zu ermöglichen. Über Fragen wie: Was nehme ich in meinem Team wahr? Was braucht es mehr oder weniger von mir? Wie bleibe ich zuversichtlich? Oder grundsätzlicher: Wenn wir auf der grünen Wiese wären, wie würden wir uns heute aufstellen? Ein Handelsunternehmen hat seinen Führungskräften dafür vertrauliche Räume in kleinen Gruppen mit je acht Führungskräften aus unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens zur Verfügung gestellt, sogenannte Führungsforen. Jeden zweiten Mittwochnachmittag über drei Stunden, bei Bedarf remote, reihum moderiert und gelegentlich durch passende externe Impulse angereichert.
     
  • Robustheit erzeugen. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass einzelne und vom Unternehmensalltag isolierte Führungsseminare wirkungslos bleiben. Laufend gestärkt werden Führungskräfte, wenn sie die erlernten Fähigkeiten kontinuierlich durch Coaching und Mentoring im Alltag vertiefen können. Ein Biotechunternehmen hat es Helmut Schmidt nachgemacht und führt Führungsforen mit Soziologen und Psychologen durch, um in Zeiten des Umbruchs gesellschaftlichen und psychologischen Kontext zu geben: „Ich fühle mich besser, weil ich besser einordnen kann, worum bei uns geht“, so der Kommentar einer Teilnehmerin.

Führungskräfte brauchen eine positive Haltung zur Unsicherheit: „Jetzt kommt es auf mich an. Jetzt kann ich gestalten.“ Für diese Haltung spricht, dass Mitarbeiter weniger Angst vor Veränderung haben, sondern eher frustriert sind über mangelnde Klarheit – selbst wenn es unbequeme Wahrheiten sind, mit denen sie konfrontiert werden.

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