Frauen an die Macht

Das Leben von elf Müllsortiererinnen aus Kerala, die durch einen Lottogewinn ihre Familien unterstützen, während sie weiterhin ihrer Arbeit nachgehen. In einem weiteren Bericht wird der wachsende Einfluss von Frauen in indischen Unternehmen thematisiert, die durch Zusammenarbeit und Selbstlosigkeit führen, was zu einer Veränderung der traditionellen Rollenbilder beiträgt.

Hallo aus Hamburg,

im Dezember erschien in der »Neuen Zürcher Zeitung« eine Geschichte über elf befreundete Müllsortiererinnen aus einem Dorf im südindischen Bundesstaat Kerala, die beim Lotto umgerechnet mehr als eine Million Dollar gewonnen hatten. Was haben sie mit dem Geld gemacht und was tun sie heute?

Von den rund 60.000 Dollar, die nach Abzug aller Steuern jede der elf Frauen erhielt, hat die eine einen Schrein für Schutzgöttinnen gebaut, um Unglück aus der Familie zu vertreiben. Die andere hat ihrer Nichte den Besuch einer weiterführenden Schule ermöglicht. Eine dritte hat ihrem Neffen eine Rikscha gekauft, damit dieser trotz Krankheit ein paar Stunden am Tag arbeiten kann. Die Frauen haben zudem Häuser renoviert, Kühlschränke und Smartphones gekauft oder Schulden beglichen, die durch die Behandlung einer Tochter entstanden waren, die bei einem Zugunfall ein Bein verloren hatte. Nur ein Drittel der indischen Bevölkerung ist krankenversichert, für komplizierte Operationen nehmen die Familien hohe Schulden auf. Nach einem Unglück aus der Schulden- und Armutsfalle herauszukommen, ist fast unmöglich. Bei allen der elf Freundinnen führte der Lottogewinn nicht zum Vorruhestand. Alle sortieren weiterhin Müll, und eine von ihnen hat ein Angebot für einen besser bezahlten Job abgelehnt, weil sie zusammen das Miteinander und ihre Arbeit schätzen. In der »Neuen Zürcher Zeitung« wird eine von ihnen zitiert: „Ich muss mit diesem Geld alle in meiner Familie unterstützen. Alle mühen sich ab. Es bringt nichts, wenn es nur einer Person besser geht.“

Zeitgleich zum Erscheinen des Artikels habe ich im Dezember Führungskräfte einer Textilfirma im Nachbarbundesstaat Tamil Nadu besucht. Das Unternehmen stellt sicher, dass Premium-Modemarken in Europa zur rechten Zeit mit Ware aus indischer Produktion beliefert werden. Es war eines der ersten, das auf höchste Standards in puncto Ökologie und Arbeitsbedingungen geachtet hat. Ich begleite das Management der schnell wachsenden Firma seit zehn Jahren in Sachen Strategie und Führungspraxis. Aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums der eigenen Produktion trafen wir uns vor Ort.
 
Neben der Arbeit mit den Führungskräften stand eine Wochenend-Exkursion mit hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ein Resort auf dem Programm (wo ich mir ein Doppelbett mit einem Ameisennest teilte; die nächtliche Koexistenz verlief störungsfrei). Nach einem Gebet im hinduistischen Tempel und der Opferung von Zitronen an die Götter Shiva und Ganesha – die wir einer unfallfreien Busfahrt wegen angerufen hatten – wartete ein lustiges Jubiläumsfest mit zahlreichen Teambuilding-Aktivitäten, Karaoke und anderen Aufführungen auf uns. Die Party war von einem Festkomitee vorbereitet worden, das aus Mitarbeiterinnen und wenigen weiblichen Führungskräften bestand. Auffallend war die tragende Rolle, die Frauen bei der Durchführung und am Rande der Veranstaltung wahrnahmen. 

Sie sorgten am abendlichen Buffet dafür, dass alle männlichen Kollegen versorgt waren, bevor sie selbst zugriffen. Während Männer den Festsaal während der mit Herzblut vorbereiteten Aufführungen verließen, um dem Whiskey zuzusprechen, der vor der Saaltür reichlich ausgeschenkt wurde, blieben die Frauen – schon aus Respekt vor denen, die sich viel Mühe gegeben hatten. Den Höhepunkt des Abends bildete eine Persiflage auf die Zusammenarbeit im Unternehmen, bei der eine bekannte Bollywood-Serienfolge auf die Akteure des Unternehmens umgewidmet wurde. Autorinnen waren weibliche Kolleginnen.

Am Rande der Veranstaltung teilte ich meine Beobachtung über das auffällig starke Engagement der Frauen mit Mitarbeitern und bezog die Geschichte der Lottomillionärinnen ein, die allen bekannt war. Meine Frage, ob in Indien Frauen tendenziell mehr an die Allgemeinheit denken als Männer, bejahte eine männliche Führungskraft des Textilunternehmens. Und warum? Eine der Mitarbeiterinnen des Merchandising-Teams, zuckte mit den Schultern: „Die Jungs werden von klein auf wie Prinzen behandelt. Sie bekommen alles, dürfen alles.“ Dieses Rollenverständnis wurde bislang von Generation zu Generation weitergegeben. Lottospielen sei übrigens in den meisten Provinzen Indiens von alters her verboten, erzählte mir eine derjenigen, die das Fest federführend vorbereitet hatten. Wenn Männer im Lotto gewännen, wäre das Geld tendenziell schnell sinnlos ausgegeben. Manche hörten bereits nach dem Kauf eines Loses – in Erwartung des Hauptgewinns – auf zu arbeiten. Angesichts dieser Umstände wären Frauen vielleicht bessere Führungskräfte? Und warum es so wenige gibt? Führungskraft zu sein, sagte eine Kollegin, bedeute, Macht zu haben, und die beanspruchten Männer nun mal für sich. Schicksal. Das sich aber zu verändern beginnt, schon im Alltag. Mehrere männliche Kollegen berichteten mir, dass sie im Gegensatz zu ihrer Elterngeneration morgens den Tag damit begännen, die Kinder fertig zu machen und in die Schule zu bringen – früher auf dem Land undenkbar, da reine Frauensache.

Das Textilunternehmen wird mehr Frauen für Führungspositionen gewinnen. Kein leichtes Unterfangen im traditionell geprägten ländlichen Tamil Nadu.


Mehr Frauen in Machtpositionen könnten auch anderen Weltgegenden guttun, wenn wir uns so umschauen. Machen wir das Jahr 2024 zum Jahr der Göttin Durga, die für ihren Mut und ihre Fähigkeit verehrt wird, das Böse zu besiegen und innere Stärke zu finden.

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