#39 Optimismus

Zwischen düsteren Schlagzeilen und gefühlter Ohnmacht wächst leise eine andere Kraft: konstruktiver Optimismus. Wer ihn pflegt, lenkt den Blick auf das Mögliche, stärkt die Handlungsfähigkeit im Kleinen und eröffnet Spielräume für echten Fortschritt.

Neulich wurde ich Zeuge eines Mittagsgesprächs am Nachbartisch. Da herrschte düstere Stimmung: Jammern über Trump, Regulierungswahn, der Niedergang Deutschlands, die unfähige Regierung, Kriege und Klimakrise. Dazu Fluchtgedanken („wohin bloß?“) und resigniertes Achselzucken. Die Financial Times beschreibt marode Schulen, bröckelnde Brücken und unzuverlässige Bahnen in Deutschland. Dem Autor Christian Kracht wird die Aussage zugeschrieben: „Wie schrecklich, dass wir in unserer Zeit leben“. Die SZ zitiert eine weltweite Umfrage unter 10.000 Heranwachsenden, von denen drei viertel die Zukunft für beängstigend hält und über die Hälfte davon das Ende der Menschheit erwartet.  Alles wird schlimmer und wenn jemand etwas unternimmt, ist es entweder falsch oder zu wenig oder zu spät. Pessimismus hat Hochkonjunktur.

Bei aller Richtigkeit vieler Befunde – ich will nicht einstimmen in den Klagechor. Vielleicht weil ich Rheinländer mit eingebauter Frohnatur bin. Oder weil Fakten eine andere Sprache sprechen: die Lebenserwartung steigt, extreme Armut und Ungleichheit sinken, der technologische Fortschritt in wichtigen Zukunftsfeldern wie Medizin, Ernährung, Energie und Umwelt wächst exponentiell. Pessimismus ist selbstmitleidig, bequem und bringt uns nicht weiter. Psychologen nennen das Problemtrance: Wer sich dauernd auf das Negative konzentriert, sieht keinen Ausweg mehr.

Stattdessen mag ein Blick auf jemanden helfen, der grauenhaftes menschliches Verbrechen am eigenen Leib erlebt hat. Der Psychiater Viktor Frankl, Überlebender des KZ Dachau, hielt 1946 einen Vortrag über Optimismus nach der Katastrophe. Sein Appell: Nicht auf einen großen Fortschritt im Singular hoffen, sondern viele kleine Schritte möglich machen: Fortschritte im Plural. Auf unsere Zeit übertragen heißt das, dass jeder Deutsche seinen CO2-Ausstoß in den letzten 10 Jahren (coronabereinigt) verringert hat. Oder 40 % der deutschen Bevölkerung dauerhaft ehrenamtlich lokal handeln. Mikrooptimismus kann wirken.

Resilienz beweist sich in Krisen, denen wir mit Optimismus begegnen. Die Geschichte der Moderne ist eine Kette von Umbrüchen, aus denen sich die Menschheit mit erstaunlicher Widerstandskraft zurück gearbeitet hat. In seinem Buch Schockmomente beschreibt der Historiker Harold James am Beispiel von Weltwirtschaftskrisen wie anpassungsfähig liberal-demokratische Gesellschaften waren. Und so geht es weiter: Die Coronapandemie hat effektivere und effizientere Arbeitsweisen hervorgebracht. Der Klimawandel zwingt uns, näher an die Natur zur rücken. Die Gefährdung der Demokratie schärft das Bewusstsein für unsere Verantwortung für die Freiheit. Ich glaube, dass sich Europa und die Demokratien mit ihren komplizierten, aber den heutigen komplexen Herausforderungen gegenüber effektiveren Entscheidungs- und Aushandelsprozessen als stärker erweisen wird als der Singular der Autokratien.

Im täglichen Führungshandeln wird Optimismus zum Beweger, wenn wir Erfolge feiern. Herausforderungen des Unternehmens als ein Ringen um die Zukunftsfähigkeit von Arbeitsplätzen werten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu ermuntern, sich einmal am Tag zu notieren, worüber sie sich gefreut haben und das am nächsten Morgen im Team zu teilen. Staunen lernen über das, was selbstverständlich erscheint.

Wie zum Beispiel darüber, dass sich am Ende des eingangs erwähnten Geschäftsessens die Gesprächspartner einen schönen Sommerurlaub wünschten. Ganz so schlimm scheint es dann doch nicht zu sein…

Wie strahlt Ihr Optimismus in Euren Teams und Organisationen aus?

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