Einschränkung macht kreativ

In vielen Unternehmen herrscht derzeit hektische Nervosität aufgrund von Krisen, Kostendruck und strategischer Unsicherheit. Doch diese Herausforderungen fördern auch Innovationen und Veränderungen, die langfristig zu mehr Effizienz und Kreativität führen.

Hallo aus Hamburg,

von Sommerpause keine Spur. In vielen Unternehmen herrscht zurzeit hektische Nervosität. Der Druck, Kosten zu sparen und gleichzeitig innovativ zu sein, ist hoch.
 

Grund dafür sind die viel diskutierten krisenhaften Phänomene, die in den Unternehmen angekommen sind: Preissteigerungen und Inflation erzeugen Konsumentenzurückhaltung. Steigende Zinsen zerstören Finanzierungsmodelle in der Bauindustrie. Das langjährige Erfolgsmodell des Anlagen- und Maschinenbaus – viel Export nach und billige Produktion in China – erweist sich als Auslaufmodell. Der durch Klimakrise und Ukraine-Krieg bedingte Umbau der Energieversorgung treibt die Energiepreise. Es fehlt an qualifiziertem Personal. Die deutsche Automobilindustrie steht unter dem Eindruck existenzbedrohender Marktveränderungen: wachsende Konkurrenz, schwindender Absatzmarkt China, alternative Antriebe und verändertes Konsumentenverhalten. Der deutsche Mittelstand ist zu klein und zu teuer, um den Großen in der Welt Paroli bieten zu können und wiederum zu groß, um bedeutungslos zu sein. So hat Viessmann seine Wärmepumpensparte auch deshalb an den US-Konzern Carrier Global verkauft, weil es nicht in der gebotenen Geschwindigkeit die erforderliche Menge an Wärmepumpen zu einem marktfähigen Preis hätte produzieren können. 

Nicht wenige Mittelständler haben in den vergangenen goldenen zehn Jahren ihre Hausaufgaben nicht gemacht und die dringend notwendige Digitalisierung nicht konsequent vorangetrieben, Prozesse und Abläufe nicht ausreichend automatisiert. Sie stehen nun vor drängendem Nachholbedarf, der in kürzester Zeit hohe Investitionen erfordert.

Keine Zeiten also für schwache Gemüter. Wie schaffen wir es, Kostendruck und Investitionsbedarf bei hoher strategischer Unsicherheit zu bewältigen?

Erstaunlicherweise gelingt einiges, wie ein Blick in den Maschinenraum zeigt. Der Druck macht Dinge möglich, die lange unmöglich erschienen. Unternehmensinterne operative Entscheidungen, die einst viele interne Schleifen drehten, werden nun im Handstreich getroffen. Früh scheitern, schnell lernen und Innovationen mit dem Kunden vorantreiben, statt lange und kostenintensiv nach dem vermeintlich perfekten Produkt zu suchen – agile Arbeitsmethoden gehören nun vielerorts zum Alltag. Der Zwang zu höherer Effizienz im Kerngeschäft bringt beispielsweise ein Biotechunternehmen dazu, nach langjährigen vergeblichen Anläufen Produktionsprozesse in Nachtschichten teilzuautomatisieren. Die notwendige Fokussierung zwingt einen Anlagenbauer, sich endlich von einem Geschäftsfeld zu trennen, das seit zehn Jahren defizitär ist und preiswerter Konkurrenz nicht mehr standhält. Mietzahlungen für Büroräume können signifikant reduziert werden, weil sich Homeoffice und Präsenzzeiten allmählich auf einem guten Niveau einpendeln.

Beschränkung macht kreativ. Das war schon immer so. Der britische Historiker Harold James macht das in seinem Buch „Schockmomente“ deutlich, in dem er sieben Krisen zwischen Mitte des 19. Jahrhunderts und Coronakrise untersucht. Demzufolge haben Knappheitskrisen immer Produktivitätsfortschritte zur Folge gehabt, von denen alle profitiert haben. So war eine große Hungersnot in Mitteleuropa Mitte des 19. Jahrhunderts der Auslöser für einen Globalisierungsschub, der die Versorgungskrise eindämmte. Der Mangel an Arbeitskräften verhalf längst vorhandenen Technologien wie der Dampfmaschine zum Durchbruch und schob die maschinierte Massenproduktion in den Kohleregionen Europas an. Erst die Einschränkungen der Coronakrise führten dazu, dass wir lange vorhandene technische Möglichkeiten wie Videokonferenzen und digitalisierte Formen der Zusammenarbeit angenommen haben und heute nicht mehr darauf verzichten wollen. 

Tom und David Kelley, Pioniere der Innovationsmethode Design Thinking, erheben das Prinzip der Beschränkung zu einem der wichtigsten Quellen von Kreativität. Sie illustrieren die These an der Entstehungsgeschichte einer App, über die Kinder ihren Avatar entwickeln können. Der Prototyp wurde mangels Geld und Zeit des Kunden ohne Programmieraufwand und innerhalb einer Woche durch eine Simulation per Webcam entwickelt. Mehr Budget, mehr Zeit und mehr Personal, wonach wir reflexhaft rufen, wenn wir Innovationen generieren sollen, sind Garanten für Verlangsamung, Verkomplizierung und letztlich Ergebnislosigkeit. Die Not macht erfinderisch.

Es gibt Grund zur Zuversicht, dass auch diese Krise mit ihren Beschränkungen längst fällige Veränderungen bewirkt und deutlich weniger Verlierer erzeugt als befürchtet.


Welche erstaunlichen Dinge erleben Sie zurzeit in Ihrem Unternehmen, die Sie zuvor nicht für möglich gehalten haben?

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