
Hallo aus Hamburg,
die hohe Anzahl von Klagen, Umfragen und Ratschlägen zum Thema Meetings steht in einem krassen Missverhältnis zu deren Qualität. Es ist tausendmal gesagt, dass wir uns gut überlegen sollten, warum es überhaupt ein Meeting braucht. Dass Meetings pünktlich anfangen und aufhören müssen, ein klares Thema und eine Agenda brauchen und nur solche Teilnehmer versammeln sollten, die einen echten Beitrag leisten können. Es mangelt auch nicht an Modellbeispielen gegen den alltäglichen Meetingwahnsinn, wie das des E-commerce Plattform Generators Shopify, der den Mittwoch zum meetingfreien Tag erklärt und alle Meetings verboten hat, die mehr als zwei Personen versammeln. Oder die Zwei-Pizza-Regel von Amazon, die die Anzahl der Teilnehmer bei Meetings auf eine solche Größe reduziert, die sich an zwei Pizzen satt essen können. Oder Jamie Dimon, der Chef von JP Morgan, der kürzlich dazu aufgerufen hat, interne Meetings ganz abzuschaffen, da sie nur dem Zeitvertreib dienten.
Trotz der Allgegenwärtigkeit von guten Tipps scheint sich die Qualität von Meetings nicht nach vorne zu bewegen. Die seit der Corona Pandemie zum Arbeitsalltag gehörenden Video Calls haben den dürftigen Befund gesteigert. Während zoom Calls Mails zu beantworten oder sich slack Nachrichten darüber zu schicken, was für eine blöde Bemerkung die Kollegin Müller gerade wieder gemacht hat, gehört zur gelebten Wirklichkeit im virtuellen geselligen Raum. Die jüngste Feststellung von Microsoft, derzufolge sich die Anzahl von Teams Meetings zwischen 2020 und 2023 verdreifacht hat, ist ebenso wenig eine Überraschung wie die dazugehörige Umfrage. Die nämlich erbrachte, dass mehr als die Hälfte der Befragten unzufrieden über die Effektivität und Effizienz von Meetings sind: An deren Ende seien oft die nächsten Schritte unklar. Oder die Teilnehmer waren im Nachgang nicht in der Lage zusammenzufassen, was das Ergebnis des Meetings war.
Ein Aspekt, der in verbreiteten Klage über Meetings wenig beachtet wird und Verunsicherung erzeugt, ist eine Diskussionskultur, die oft zu wünschen übrig lässt. Nach meiner Beobachtung gilt dies für alle Ebenen, von Gesellschaftern über Aufsichtsrats- und Vorstandssitzungen bis hin zu Führungskräftemeetings. Es hapert an der Einhaltung einfacher Grundregeln, wie die, einander ausreden zu lassen und sich nicht im Eifer des Gefechts ins Wort zu fallen. Oder die, beim Thema zu bleiben, auf den Punkt und nicht vom Hölzchen aufs Stöckchen zu kommen: „Jetzt habe ich den Faden verloren (Originalzitat von Wiederholungstätern).“ Oder die schlechte Angewohnheit, auf auftauchende Fragen direkt Antworten geben zu müssen, was oft auf Abwege vom Thema führt oder gar in Rechtfertigungen mündet, die nichts zur Sache beizutragen haben. Hieran knüpft die besonders in strategischen Meetings zu beobachtende Schwierigkeit an, den thematischen Fokus und die gebotene Flughöhe der Diskussion zu halten: „Auf welches Produktsegment müssen wir in den kommenden Jahren setzen?“ Antwort: „Wir müssen endlich bei Produkt A die Verpackungsgrößen verändern. Das habe ich doch schon immer gesagt.“ Verbreitet sind auch nicht enden wollende Monologe, bei denen die anderen Teilnehmer innerlich die Augen rollen.
Ich unterstelle nicht, dass die vielfach zu beobachtende mangelnde Gesprächsdisziplin auf Unwille oder Unfähigkeit zurückzuführen ist. Der Grund für die Nachlässigkeit könnte vielmehr darin liegen, dass Führungskräften oft nicht bewusst ist, wie groß ihre Rolle als Vorbild auch in Wort und Schrift ist. Es prägt Führungshandeln der Organisation, wenn Führungskräfte, die zu einem Tagesordnungspunkt in einer Geschäftsführungssitzung eingeladen sind, erleben, dass deren Mitglieder zum Besten geben, was ihnen gerade so in den Sinn kommt – statt vor dem Sprechen nachzudenken und sich zu disziplinieren. „Wenn die das so machen, dann kann ich auch…“.
Meine These: Ein Aspekt, der in verbreiteten Klage über Meetings wenig beachtet wird und Verunsicherung erzeugt, ist eine Diskussionskultur, die zu wünschen übrig lässt. Mein Appell: Lasst uns mehr Zeit nehmen, um unsere Gedanken zu sammeln. Sorgfältiger unsere Worte wählen. Auftretende Fragen, die nicht zum Thema passen, an den passenden Ort verweisen, statt durch ausschweifende Antworten vergeblich Tatkraft beweisen zu wollen.
Das Allheilmittel KI verheißt übrigens auch zum Thema Meetings Abhilfe. So bietet der Chatbot Otter unter anderem einen AI Meeting Agent an, der auf Fragen in Meetings live mündlich antwortet. Der Gründer und CEO von Zoom, Eric Yuan, sagt eine nahe Zukunft voraus, bei der Mitarbeiter digitale Zwillinge zu Meetings schicken, die dann mit anderen Avataren interagieren. Ob die einander ausreden lassen? Und ob die Avatare nach dem Meeting besser wissen, wo es hingeht mit dem Unternehmen?