
Hallo aus Hamburg,
Zu den Unsicherheiten, die wir erleben, gehört plötzlich das Fundament, auf dem Unternehmertum in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung steht: unternehmerische Freiheit innerhalb eines verlässlichen Rechtsrahmens. Freiheit, ein Unternehmen zu gründen, Menschen anzustellen, Entscheidungen zu treffen, die an Wohlergehen und Fortkommen des Unternehmens und seiner Mitarbeiter orientiert sind. Verlässlichkeit, Verträge mit Dritten abschließen zu können, die bei Zuwiderhandlungen durchgesetzt werden. Freiheit und ein verlässlicher Rahmen sind auf einmal nicht mehr selbstverständlich. Einst in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verortete Länder, wie Ungarn, Türkei oder Venezuela, drohen in Willkür und Korruption abzugleiten oder sind es bereits. Autokratische Strukturen sind auf dem Vormarsch.
Mechanismen zur Indienstnahme der Demokratie sind die Entlassung von zehntausenden Bundesbediensteten qua Präsidialdekret; bei aller Notwendigkeit des kontinuierlichen Verschlankens von Bürokratie ist es die Aufgabe der Demokratie gegenüber verpflichteten Beamten, staatlicher Willkür Normen und Gesetze entgegenzusetzen. Ähnliches geschah übrigens im Versuchslabor der Nationalsozialisten in Thüringen 1929/30. Unter dem Deckmantel der Verschlankung des Behördenapparats wurden republiktreue Beamten in Scharen entlassen. Die Streichung von öffentlichen Mitteln für Universitäten, an denen unliebsame Demonstrationen oder „entartete“ Aktivitäten stattfinden – Columbia University 2025 beziehungsweise Schließung des Bauhauses in Weimar 1930 -, sind weitere subtile Mittel der Aneignung. Die Besetzung von Richterpositionen mit loyalen Juristen, die die Untersuchung von politischen Rivalen, Unterbindung von zivilgesellschaftlichen Protesten, den Schutz vor Verfolgung von loyalen Gewährleuten wegen alltäglicher Vergehen ermöglichen. Das Dekret, demzufolge amerikanische und in den USA operierende Unternehmen nun nachweisen müssen, ob es in der Vergangenheit wegen innerbetrieblicher Diversity, Equity, Inclusion (DEI)-Bestimmungen zu Diskriminierung gekommen ist. Die zu Willkür einladende Anordnung Trumps an seine Justizministerin, Sanktionen gegen Anwaltskanzleien zu verhängen, die „leichtfertige, unvernünftige und schikanöse“ Rechtsstreits gegen die Vereinigten Staaten führen.
Es ist noch nicht ausgemacht, dass die Rechnung aufgeht. Es gibt Quellen des Widerstands. Die amerikanischen gewaltenteiligen Institutionen sind stärker als zum Beispiel die in Ungarn oder in der Türkei: unabhängige Justiz, der legislative Prozess – der ja noch gar nicht eingesetzt hat -, der Föderalismus, midterm Wahlen. Die stärkste Quelle des Widerstands ist die Zivilgesellschaft, die nicht-staatliche Selbstorganisation von Bürgern quer zu den hierarchischen und etablierten Verfahren der parlamentarischen Demokratie (Paul Nolte). Wie laut diese sonst so stille Mitte der Gesellschaft werden kann, können wir in Süd-Korea, Serbien, der Türkei oder in Deutschland im Fall der Remigrations-Konzepte der AfD sehen.
Unternehmen sind Teil dieser stillen Mitte der Gesellschaft. Geschichte und Gegenwart zeigen, dass wir anfällig sind für die Gunstbezeugungen autokratischer Regime: an loyale Unternehmer verteilte staatliche Lizenzen, Zuteilung von Regierungsaufträgen oder Aufhebung von Regularien. Wie zum Beispiel solche zur Beendigung der Regulierung von Künstlicher Intelligenz, wie gerade geschehen. Die CEOs der großen Tech Unternehmen, die Trump einst in erbitterter Opposition verbunden waren, jubeln ihm nun zu und finanzierten dessen Einführungszeremonie im großen Stil. Im vorauseilenden Gehorsam hat im Januar dieses Jahres Meta seine Faktenckeck Aktivitäten eingestellt, nachdem sie diese einst als Gegenmaßnahme gegen Trumps Fake Aktivitäten aufgebaut hatte. Der Ruf nach dem starken Mann, mit dem der Unternehmer Hugo Stinnes 1923 das fragile Gebilde der Weimarer Republik zu überwinden hoffte oder die Finanzierung der neuen Parteizentrale der NSDAP in München 1931 durch den Stahlindustriellen Fritz Thyssen gehören leider zum Musterverhalten von Unternehmern angesichts emportretender Autokraten. In diese Richtung weist auch die Reaktion der amerikanische Kanzlei Paul Weiss, die einst Gegner von Trump vertreten hat. Sie gab dem Druck der Regierung Trump nach und sicherte regierungstreue pro bono Aufträge im Wert 40 Millionen Dollar zu.
Es ist dieser Weg des geringsten Widerstands, der so gefährlich ist. CEOs, Medienunternehmer, Universitätspräsidenten, die ihr Verhalten angesichts autokratischer Tendenzen ändern, mögen aus Sicht ihrer Organisation rational handeln, im besten Sinne des Unternehmens. Dieser Schwenk hat aber einen hohen kollektiven Preis. Er schmälert Kritik und Druck auf aufkommende autokratische Strukturen, stärkt diese und untergräbt die Fundamente von Rechtsstaatlichkeit und Freiheit, auf denen sie selbst stehen.
In den letzten – sichereren – Jahren, haben wir die Bedeutung von purpose für den Erfolg von Unternehmen viel strapaziert: Ein Sinn, der größer ist, als der einzelne und für den es sich lohnt, sich einzusetzen. Es kann sein, dass dieser purpose bald einen neuen, noch höheren Sinn bekommen wird. Wo werden wir stehen?
Wie nehmt Ihr die derzeitigen Entwicklungen in unseren Demokratien wahr? Welche Auswirkungen haben sie auf Euer Unternehmen? Auf Eure Führungsrolle im Alltag?