
Hallo aus Hamburg,
wenn Aufträge ausbleiben, Märkte einbrechen und Unsicherheit um sich greift, kürzen wir in unseren Unternehmen reflexhaft Kosten, frieren Budgets ein und stoppen Investitionen. Wir wollen damit Profitabilität sichern und igeln uns ein.
Dass dies allenfalls Teil einer Lösung im Umgang mit wirtschaftlicher Unsicherheit sein kann, zeigt eine groß angelegte Studie des Wirtschaftsprofessors der Harvard Business School, Ranjay Gulati. Er untersuchte mit seinem Team rund 5.000 internationale Unternehmen, die in den Krisen der 1980er, 1990er und 2000er Jahre schwierige Zeiten erlebten. Das Ergebnis: Nur neun Prozent dieser Unternehmen gingen gestärkt aus der Krise hervor – mit höherem Umsatz, Marktanteil und Profitabilität als zuvor. Weil sie gleichzeitig in Neues investierten. Ähnlich eine aktuelle Langzeitbeobachtung des Daten- und Beratungshauses AlixPartners über den Umgang von 1.000 Unternehmen mit der Coronakrise im Betrachtungszeitraum 2019 bis 2024. Danach weist die Kürzung von Betriebskosten keine Korrelation mit dem Wertzuwachs der Unternehmen auf. Fazit: Diejenigen Unternehmen gehen aus Krisen gestärkt hervor, die Einsparungen mit gezielten Investitionen in die Zukunft verbinden.
Betriebskosten müssen immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Sich verändernde Marktbedingungen, neue Aufgabenstellungen und Arbeitsweisen, in einer Organisation angelegte Schwerkraft, gegen die wir angehen müssen – Anwesenheit schafft Arbeit! – verlangt nach kontinuierlicher Überprüfung unserer Strukturen.
Was passiert, wenn wir zu lange Gewohnheiten Raum lassen und Aufwände des Unternehmen ungefragt fortsetzen, erlebte ich neulich auf augenfällige Weise. Eine neu angetretene Geschäftsführung staunte nicht schlecht, als ihr eine Führungskraft erklärte, dass sie wie gewöhnlich in der – für das produzierende, exportorientierte Unternehmen erfolgskritische – Vorweihnachtszeit ihre alljährliche vom Arbeitgeber finanzierte Weiterbildungswoche antreten werde. Auf die Rückfrage, worum es in der Fortbildung in einer angespannten Situation des Unternehmens ginge, antwortete sie, dass sie eine Woche lang lerne, Protokolle von Meetings zu erstellen. Geht’s noch?
Dieselbe Unternehmensleitung hatte ihre liebe Mühe, ihr Führungsteam davon zu überzeugen, sich inmitten rückläufiger Auftragszahlen und drohender Handelsbarrieren mit den USA in neuen Projekten zu engagieren. Ihre Argumentation: „Gerade jetzt braucht es neue Initiativen, die uns in zwei Jahren auf einem veränderten Markt relevant machen.“ Doch die Unsicherheit unter Führungskräften ist wie die Zahl der Bedenkenträger groß. Das allgemeine Lamento über den Industriestandort Deutschland und den Niedergang des deutschen Maschinenbaus findet sein Echo in den Führungsetagen der Unternehmen.
Wenn wir den Untergang nicht herbeibeschwören wollen, sollten wir schlechte Nachrichten kritischer betrachten. Die, die weiter sehen, erkennen, dass Deutschland das Potenzial hat, ganz vorne dabei zu sein. In einem Interview mit der ZEIT erklärt der Wirtschaftshistoriker Sven Beckert anlässlich der Vorstellung seines neuen Buchs über die Geschichte des Kapitalismus: „Deutschland ist eines der wenigen Länder weltweit, die noch immer eine wirkliche tiefe industrielle Struktur haben. Der gegenwärtige deutsche Pessimismus ist daher völlig übertrieben.“
Nur mit Kostenkürzungen kommen wir in der derzeitigen Krise nicht weit. Nur, wer zugleich in der industrielle Tiefe in Neues investiert, wächst. Resilienz – dieses vielfach bemühte Wort – bedeutet nicht nur, Krisen durchzustehen. Es bedeutet, durch sie zu lernen und stärker zu werden. Unternehmen, die sich durch Krisen neu aufstellen, zeigen: Zukunftsfähigkeit entsteht dort, wo Unternehmen Mut zum Wert der Zeit erklären und wo klug abgewogene, priorisierte Investitionen stärker sind als Angst vor Verlust.
Wo kürzt und wo investiert Ihr? Und welche Widerstände erlebt Ihr?
Schreibt mir gerne.
Herzliche Grüße
Euer Markus Baumanns

