Hallo aus Hamburg,
in der Juni-Ausgabe seines Newsletters hat Holger Volland unter dem Titel „Fürchtet euch nicht. Ist nur neu“ die Angst thematisiert, die uns Menschen üblicherweise befällt, wenn technologischer Fortschritt Neues bringt und das wie bei ChatGPT für alle greifbar wird. Eine der Befürchtungen dreht sich um die Frage, was KI mit unseren Jobs macht. Ist das Ende der Arbeit gekommen?
In den ersten seriösen Studien zu diesem Thema geht es um eine der Fähigkeiten von KI, nämlich Vorhersagen auf Basis eines Datensatzes zu treffen, also Informationen, die wir haben, in Informationen zu übersetzen, die wir nicht haben. Die Studie von Goldman Sachs etwa kommt zu dem Schluss, dass bis 2030 in Europa und den USA bis zu zwei Drittel aller Berufsbilder durch diese Form der KI beeinflusst werden. Die Forscher gehen für die USA weiter davon aus, dass ein Viertel aller Jobs durch KI automatisiert werden könnte, vor allem White-Collar-Jobs. Betroffen seien standardisierte Aufgaben wie Buchhaltung, rechtliche Grundberatung, Administration und jene Berufe, in denen vornehmlich Informationen gesammelt, neu zusammengesetzt und strukturiert werden. Die Studie von der University of Pennsylvania rechnet zusammen mit den Forschern von OpenAI sogar damit, dass bei 80 Prozent aller amerikanischen Wissensarbeiter mindestens jede zehnte Aufgabe durch KI ersetzt werden könnte.
Bill Gates träumte in seinem Blog im März 2023 von einem KI-gestützten persönlichen Assistenten, der E-Mails sichtet und entlang vorher verabredeter Parameter nach Wichtigkeit sortiert, alle Meetings kennt, die erforderlichen Informationen und Texte vorher liest, den Meetings beiwohnt, anschließend das Protokoll schreibt und Aufgabenlisten generiert. Eine verlockende Vorstellung! Auch das personalisierte Marketing wird bald klüger werden als heute, wo mich die E-Commerce-Plattform zum Kauf einer Waschmaschine verleiten will, obwohl ich doch vier Wochen zuvor eine erworben habe. Ärzte können sich auf eine Krankengeschichte stützen, die KI aus einer digitalen Krankenakte generiert hat, die automatisierte Diagnose-Empfehlung der Maschine kritisch zur Kenntnis nehmen und sich ganz um den Patienten kümmern. Architekten werden relevante Informationen zu den Rahmenbedingungen eines Gebäudes, den gewünschten Materialien sowie Eckpfeiler gestalterischer Art in ein KI-gestütztes Tool eingeben und erste Designentwürfe in 3-D erhalten, die sie kritisch analysieren und weiterentwickeln. Anwälte werden keine Verträge mehr schreiben, sondern sich auf die Beratung bei der kniffligen Auseinandersetzung mit der Gegenpartei konzentrieren.
Es gibt ein Muster, das in der Vergangenheit bei allen Technologiesprüngen galt, wie mir ein Arbeitsmarktforscher des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität Köln bestätigte (ebenso übrigens wie die Regel, dass Menschen bei Technologiesprüngen immer Angst vor dem Jobverlust haben):
Erstens: Zulieferaufgaben werden ersetzt. So wie der Beruf „Computer“. Den übten in den 1940er Jahren vor allem weibliche Hilfskräfte aus, die immer wiederkehrende Berechnungen zum Beispiel in der Astronomie oder in der Ballistik durchführten. Die Aufgaben samt Berufsbezeichnung übernahm später der uns bekannte Computer.
Zweitens: Viele Menschen mit Aufgaben, die zunächst durch Automatisierung ersetzt werden, werden in neuen, durch KI entstandenen Berufen Platz und Erfüllung finden. Wie die Journalistin, die als „Prompt Engineer“ Kunden hilft, kluge Fragen an die KI zu stellen, um brauchbare Antworten zu erhalten. Nahezu alle technischen Innovationen haben neue Berufe hervorgebracht und einen nachhaltigen Produktivitätsfortschritt erzeugt. Das war beim Durchbruch der Dampfmaschine in den Kohleregionen Preußens Mitte des 19. Jahrhunderts ebenso der Fall wie bei der Einführung des PCs. Erste Schätzungen sagen im Fall von KI eine Erhöhung des jährlichen Bruttoinlandsprodukts weltweit um sieben Prozent voraus.
Drittens: Die meisten der betroffenen Berufe werden mehr durch KI unterstützt als abgelöst. Und das auf absehbare Zeit. Denn eines wird KI noch sehr lange nicht können, wie ich vor einem Monat von den besten KI-Professoren der Stanford Business School in Palo Alto gelernt habe: Sie kann sich nicht in Menschen hineinversetzen. Das bedeutet, dass kritisches und kreatives Denken, emotionale Intelligenz und aktives Zuhören zur Steigerung der eigenen Urteilsfähigkeit auf lange Zeit unersetzbare Fähigkeiten des Menschen gegenüber der Maschine sind.
Die Angst vor den Auswirkungen von KI auf den Arbeitsmarkt ist unbegründet. Eher sollten wir uns auf die Frage konzentrieren, ob die nächste Generation auf den sich verändernden Arbeitsmarkt vorbereitet wird. Mark Siemons von der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat vor Kurzem die Empfehlungen der Ständigen Wissenschaflichen Kommission der Kultusministerkonferenz für den Lernkanon deutscher Schulen mit den Kompetenzen der Sprachmaschinen verglichen. Das ernüchternde Ergebnis: Weil die genormten und messbaren Kompetenzen, auf die das jetzige Bildungssystem hinausläuft, wahrscheinlich von Computern bald besser und vollständiger erbracht werden können, bereitet der Unterricht die nachwachsende Generation möglicherweise auf die Arbeitslosigkeit vor.
Zurück zu Holger Vollands Newsletter: Er zeigte sich froh, dass seine Leser angesichts von ChatGPT nicht ängstlich, sondern kritisch und unternehmungslustig sind. Gut so.