Arschloch oder Softie?

Wertschätzende Führung ist gefragt, doch in Zeiten großer Umbrüche und notwendiger Transformationen stehen Unternehmen vor einem Dilemma: Harmoniebedürfnis vs. radikale Entscheidungen. Wie gelingt Führung, die klare Veränderungen bewirkt, ohne auf Rücksichtnahme zu verzichten?

Hallo aus Hamburg,

es ist kaum zu ermitteln, wie viele Regalmeter Bücher jedes Jahr über die Bedeutung wertschätzender Führung erscheinen. Auf den Mitarbeiter eingehen, zuhören, laufend Feedback geben, achtsam miteinander umgehen – all das gehört mittlerweile zum Einmaleins des guten Verhaltens von Führungskräften im Alltag. Das wachsende Bewusstsein für Wertschätzung am Arbeitsplatz führt zur allmählichen Ablösung einer Führungskultur, die auf Befehl und Gehorsam baut und ihre Wurzeln in der Industrialisierung hat. Befeuert wird diese Entwicklung durch den Generationenwechsel und die aktuellen Umbrüche in unseren Unternehmen, die neue Sichtweisen und einen dafür offenen Nachwuchs an Fach- und Führungskräften erfordern. 

Da trifft es sich gut, dass nachfolgende Generationen dank der Allgegenwart von Information und Dialog gewohnt sind, hierarchiefreier zu kommunizieren und zu handeln. Sie sind rar, haben deshalb Verhandlungsmacht und prägen die Kultur einer Organisation. Eine gut ausgebildete Berufsanfängerin erklärte mir neulich, dass sie sich nicht vorstellen könne, in einem Unternehmen zu arbeiten, in dem Vorgesetzte Schimpfworte verwendeten; dann würde sie gehen, selbst, wenn sie keine Alternative habe. Die Personalabteilungen der Unternehmen versuchen, den Bedürfnissen dieser anspruchsvollen Generation entgegenzukommen; die schier endlosen Diskussionen über Homeoffice-Regelungen sind ein Beispiel dafür. Diese Generation hat eine kollektive Verunsicherung durch Pandemie, Klimakrise und einen Angriffskrieg in Europa hinter sich, jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fragen sich, wie sie die Balance zwischen Arbeit und Leben gestalten sollen und was sie im Leben erreichen wollen. Viele ältere Kollegen, die ihr Leben lang Arbeit an die erste Stelle gesetzt haben, sind ratlos über das Verhalten der Jungen und verstehen deren Welt nicht mehr.

Aber passt das Harmoniebedürfnis der Jugend zu den harten Entscheidungen, vor denen viele Unternehmen stehen? Man muss nicht gleich wie Elon Musk bei der Übernahme von Twitter 50 Prozent der Mitarbeiter mit dem Kommentar feuern, dass dies nicht anders ginge, wenn ein Unternehmen vier Millionen Dollar am Tag verliere. Auch von Steve Jobs, der Apple groß gemacht hat, ist bekannt, dass er regelmäßig Meetings von Mitarbeitern hijackte und skrupellos sechs der sieben mühsam erarbeiteten Ziele der nächsten Jahre strich: Es käme nur auf eines statt sieben an. Und von Mario Kohle, Mitgründer des Solaranlagenvermieters Enpal, ist zu hören, dass er keinen Zweifel daran lässt, was mit Verantwortlichen passiert, wenn gesetzte ambitionierte Ziele nicht erreicht werden: Es gibt noch einen zweite Chance, ist die aber verpasst, holt er andere.

Das ist der tägliche Widerspruch zwischen drängendem Veränderungsbedarf und der natürlichen Schwerkraft etablierter Organisationen: in Abteilungsgrenzen denken und handeln, Meetings, die ohne Entscheidungen enden, Gründe aufzählen, warum etwas nicht geht. Und wer den Widerspruch durchlebt, wird ein gewisses Verständnis für radikale Entscheidungen à la Musk und Co haben. Denn wie sollen wir ohne Kompromisslosigkeit gegen die Wenns und Abers einer bequem gewordenen Organisation ankommen? Es ist nicht von der Hand zu weisen: Auch wenn Musk in besagtem Twitterfall seine Entlassungsentscheidung teilweise wieder rückgängig machen musste – ohne seine und die Radikalität eines Steve Jobs wären große unternehmerische Leistungen oft nicht geschehen. Es hätte keine Sprunginnovation wie das iPhone und keine Antriebswende wie in der Autoindustrie dank des Tesla gegeben.

Dies ist nicht der Ruf nach dem starken Mann, dem Arschloch als Führungsvorbild. Ein Satya Nadella beweist als CEO seit 2014 bei Microsoft, dass große Transformationen auch anders geführt werden können, wie in seinem selbstkritischen Buch „Hit Refresh“ nachzulesen ist. Aber dass wertschätzendes Führungsverhalten mit dem Streben nach Harmonie verwechselt wird, ist überall sichtbar, genauso wie die allgemeine Verunsicherung, weil es aus Angst vor Streit oft an der notwendigen Klarheit fehlt. Das führt zu einer Handlungsunfähigkeit, die wir uns nicht leisten können. Um es mit den Worten des Managementexperten Reinhard Sprenger zu sagen: Wenn Führungskräfte danach trachten, stets auf die Bedürfnisse von Mitarbeitern einzugehen, werden sie zu Anpassungsruinen.


Was meinen Sie: Können wir unternehmensinterne Widerstände gegen Veränderungen in der notwendigen Geschwindigkeit nur durch radikales Durchsteuern brechen? Oder wie führen Sie, ohne Arschloch zu sein?

Beitrag teilen:

Ähnliche Beiträge

Keine Beiträge mehr verpassen!

Sie tragen Verantwortung in einem mittelständischen Unternehmen, einem schnell wachsenden Start-up oder einer großen gemeinnützigen Einrichtung? Dann melden Sie sich zum Newsletter von Dr. Markus Baumanns an, in welchem er monatlich Branchen-Insights teilt, Neuigkeiten aus der Wirtschaft diskutiert und zum Grübeln anregt. 

Deine Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Vielen Dank für Ihre Anmeldung - wir freuen uns auf Ihre Reaktion.