#41 Leitung und Aufsicht von Unternehmen

„Uns hört keiner zu.“ – „Was wollen die eigentlich?“ Wenn solche Sätze fallen, ist es höchste Zeit für ein Update der gelebten Governance.

Hallo aus Hamburg, 

in Zeiten geopolitischer Krisen, durch künstliche Intelligenz getriebene Umbrüche, Protektionismus und Klimawandel geraten nicht nur Geschäftsmodelle unter Druck, sondern auch Mechaniken der Unternehmensführung. Klassische Rollenzuschreibungen zwischen Geschäftsführung und Aufsicht kommen in Bewegung.  

Neulich hörte ich einen Geschäftsführer: „Was wollen die eigentlich? Die sollen uns in Ruhe arbeiten lassen.“ Ein Aufsichtsratsmitglied klagte wenig später: „Uns hört keiner zu. Warum machen die das nicht so, wie wir uns das denken?“ 

Diese Zitate stehen für gegenseitiges Unverständnis, das gefährlich werden kann; weil es einem Unternehmen nicht die Orientierung gibt, die es jetzt mehr denn je braucht. Zugleich liegt in den Aussagen eine Chance dafür, die gelebte Praxis der klassischen Trennung zwischen strategischer Aufsicht und operativer Umsetzung neu auszutarieren.

In volatilen Zeiten reicht eine vierteljährliche Präsentation der Geschäftsführung nicht aus, um die Qualität strategischer Entscheidungen im Aufsichtsrat oder im Beirat verantwortungsvoll zu beurteilen. Wer als Aufsichtsratsmitglied seiner Verantwortung gerecht werden will, braucht tiefere Einblicke und engere Taktung. Jedes Beiratsmitglied muss in der Lage sein, jederzeit folgende vier Fragen zu beantworten: 

  • Welches Kundenbedürfnis bedienen wir – heute und morgen? 
  • Wer sind unsere Hauptwettbewerber? 
  • Wie sichern wir nachhaltig unsere Profitabilität? 
  • Welche langfristigen Bedrohungen sehen wir? 

Bewährt hat sich die Erarbeitung eines Strategiezyklus im Kreis der Mitglieder des Aufsichtsgremiums, der Unternehmensleitung und mit Schlüsselpersonen aus der Organisation. Und das auf der Grundlage einer inhaltlich fundierten, aktuellen Bestandsaufnahme der Entwicklung des Unternehmens in den letzten fünf Jahren: Zahlen und Kennzahlen, Kundensegmente und deren Bedarfe, Produktions- und Vertriebsmodelle, Wettbewerb, Innovationsergebnisse und -pipeline sowie Lehren aus gescheiterten Vorhaben. Die aus einer konzentrierten und kontroversen Diskussion entstehenden strategische Thesen sollten alle zwei bis drei Jahre im gleichen Kreis überprüft, angepasst oder ersetzt werden. So entsteht eine neue strategische Nähe innerhalb der Unternehmensführung – ohne operative Einmischung und über das gemeinsame Ringen um den besten Weg in die Zukunft. 

Die Zeit von Beiratsmitgliedern als Frühstücksdirektoren ist lange vorbei. Zu den Kernaufgaben von Beiräten gehören: die mittel- bis langfristige Ausrichtung des Unternehmens zu entwickeln und regelmäßig zu überprüfen, die betriebswirtschaftliche Lage und Steuerung des Unternehmens zu verstehen und anpassen zu können, gestiegenen Anforderungen an die Risikoüberwachung gerecht zu werden, einen tieferen Eindruck von der Qualität der Geschäftsführung und des Führungsteams zu erhalten, um auf dieser Grundlage die Nachfolgeplanung im Unternehmen besser begleiten zu können.  

Gerade letztgenannten Punkten kommt in Zeiten großer Veränderungen eine hohe Bedeutung zu. An der Spitze des Unternehmens braucht es jederzeit die passenden Kompetenzen zur passenden Zeit. Sorgfältige Auswahl, Begleitung, Incentivierung und Personalentwicklung der Unternehmensleitung ist wichtiger denn je. So wertvoll zum Beispiel Branchenerfahrung in relativ stabilem Geschäftsumfeld ist, umso hinderlicher für die Unternehmensentwicklung kann Erfahrung in Zeiten großer Umbrüche sein – weil erfahrene CEOs tendenziell dazu neigen, sich zu sehr auf die Rezepte der Vergangenheit zu stützen. Wichtigstes Haltungskriterium ist ständige Selbstkritik. Einer meiner Lieblingsprofessoren an der Harvard Business School, Boris Groysberg, sagte einmal: Wenn ein Mitglied der Geschäftsführung sagt, dass alles in Ordnung sei, steht der Selbstmord des Unternehmens kurz bevor. 

Was für die Geschäftsführung gilt, gilt genauso für das Aufsichtsgremium. Alle zwei Jahre sollte es sich im Rahmen eines Boardassessments selbstkritisch die Karten legen: Passen unsere Kompetenzen zu den Herausforderungen im Unternehmen? Dabei geht es um strategische Kompetenz, Finanzverständnis, Diversität, Technologieverständnis und Querdenkerqualitäten. Fühlen und sind wir bestmöglich auf jede reguläre Sitzung und auf die eingangs erwähnte Strategiesitzung vorbereitet?  

Fazit: Unsichere Zeiten erfordern keine Fusion von Umsetzung und Aufsicht, aber ein tieferes Verständnis von der gemeinsamer Verantwortung – mit klarer Rollenverteilung im Dienst der aktiven Gestaltung der Zukunft des Unternehmens. 

Wie nehmt Ihr das Zusammenspiel zwischen Aufsicht und Umsetzung in diesen Zeiten wahr?

Euer Markus Baumanns

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